Wednesday, November 12, 2008

Insiang, Lino Brocka, 1976

Ein furioses Melodram, das sich konsequent seiner Belegschaft, wie auch seiner anfangs noch wild wuchernden Parallelhandlungen entledigt. Die junge Insiang ist zu Beginn von Menschentrauben umgeben, am Ende wird sie ganz alleine in einer Totalen über die menschenleere Plaza vor dem Gefängnis wandern. Zwei Familienmodelle werden nacheinander ausprobiert und konsequent verworfen. Zunächst die integrative Großfamilie: Brüder, Schwestern, Tanten und Großeltern, alle unter einem Dach, in jeder Einstellung mindestens fünf Personen. Statt Solidarität herrschen Betrug und Misstrauen. Irgendwann wirft die Mutter Tonia alle raus bis auf Insiang, ihre Tochter. Das zweite Familienmodell ist die Perversion der Kernfamilie. Tonia holt ihren jungen, brutalen Lover Dado ins Haus. Der hat bereits vorher ein Auge auf Insiang geworfen. Noch weitaus radikaler als die Großfamilie wird der Film die Kernfamilie zerstören. Das Mehr an Raum innerhalb der Wohnung nach dem Auszug der Verwandschaft schafft keinen freien Bewegungsraum, sondern ist ganz im Gegenteil Schauplatz für beklemmende Blickwechsel und verwandelt sich nach und nach in ein psychisches Gefängnis für seine Bewohner, in einen durch und durch pervertierten Raum.
Insiang verwirft nicht nur Familien-, sondern auch heterosexuelle Beziehungsmodelle. Insiang ist von drei Männern umgeben. Einer wird am Ende tot sein, ein zweiter wird aufs übelste zusammen geschlagen und der dritte, ihr idealistischer, schüchterner Bewunderer, der sie in einem "echten" (weil unehrlichen) Liebesmelo am Ende bekommen hätte, wird freundlich, aber bestimmt in die Wüste geschickt. Nicht in dieser Welt.
Insiang strebt nicht danach, aus den Abhängigkeitsverhältnissen in eine transzendentale romantische Liebesbeziehung zu entkommen; Sie möchte die Abhängigkeitsverhältnisse subvertieren und ihre Hierarchien auf den Kopf stellen. Aber auch das funktioniert nicht, kann nicht funktionieren. Ihre einzige Waffe, der Sex, hat nur einen beschränkten Marktwert und zieht im Zweifelsfall gegen Geld oder rohe Gewalt den Kürzeren. Sex muss Umwege gehen und resultiert weniger im eigenen Glück denn im unglück der anderen. Am Anfang steht sie ganz unten in der Hierarchie. Da niemand sie nach oben durchlassen möchte, entfernt sie einen nach dem anderen über sich, bis sie an der Spitze steht. Und konsequenterweise völlig alleine in einer Totalen über die Plaza vor dem Gefängnis wandert.

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