Tuesday, April 13, 2010

Candyman, Bernard Rose, 1992

Ein politisch überkonstruierter Horrorfilm; die Rückkehr der verdrängten Sklavenhaltervergangenheit: daraus macht der Film dann doch sehr wenig. Vielleicht zum Glück. Interessanter ist der stadtsoziologische Aspekt, die Raumachse, die sich mit der Zeitachse etwas ungenau überkreuzt. Das Böse lauert hinter der schäbigen Bausubstanz. Nur ein Vorhang trennt das Appartment der Soziologin von ihrem Forschungsobjekt, den projects, in denen Candyman umgeht. Schön ist dies Szene am Anfang, in der sie ihrer Kollegin zeigt, wie ihr Haus beschaffen ist, was hinter dem Vorhang liegt, dass auch ihre Welt nur einen Badezimmerspiegel vom sozialwohnungshaften Unbewussten des liberal-großstädtischen Bürgertums entfernt ist. Selten sieht man im Kino so etwas: dass da jemand mit ein, zwei Handgriffen seine eigene Welt kontextualisiert und dekonstruiert, sie auf ihre materiellen Bedingungen befragt. Eine Form der Selbstreflexivität, die der ewig selbstreflexiven Postmoderne ziemlich gründlich abhanden gekommen ist. Leider unternimmt der Film dann nicht mehr allzu viele Schritte in diese Richtung. Es geht dann doch eher um das bloße shock value der Begegnung mit dem Anderen. Das Forschungsvorhaben der beiden Frauen geht in Richtung interpretative Ethnologie und natürlich gründlich schief.
Candyman ist ein etwas unentschlossener, immer nur halb durchdachter Film, aber er hat mir doch ganz gut gefallen. Auch, weil ihm eine Kälte eignet, die dem gegenwärtigen Horrorkino fast vollständig abhanden gekommen ist (löbliche Ausnahmen: Mirrors und der grandiose The Broken). Weil es etwas gibt, das sich dem ewigen Subjektivierungs- und eindimensionalen Intensivierungssog, dem sich das neuere Splatterkino nur allzu willig ergibt, den Point-of-view-Einstellungen, der Handkamera, dem nervösen Atemgeräusch, der ewigen Finsternis etc etwas entgegensetzt. Die Vogelperspektive zum Beispiel, den Philip-Glas-Score und nicht zuletzt die Hauptdarstellerin Virginia Madsen. Eine so ökonomisch und krafvoll agierende leading lady hat der gegenwärtige Horrorfilm schlicht und einfach nicht zu bieten. Madsen agiert ihre Hysterie nur selten aus, meistens schließt sie sie in sich ein und lässt sie in zerbrechlichen Großaufnahmen immer nur fast aus sich heraus brechen. Wenn es zur Zeit eine Schauspielerin gibt, die einem echten Hitchcock-Film gewachsen wäre, dann kann das nur Madsen sein. Kunst durch Reduktion, weder die Intensität des vermeintlich Authentischen, noch der einfache Exzess. Zentral ist für ihr Schaupiel der Aufschub, das Intervall. Nicht alles, was passiert, drückt sich gleich in Handlung, in Reaktion durch, zunächst prägt es sich, nur sekundär als Affekt, primär einfach nur als vergehende Zeit, in ihre Großaufnahmen ein. Diese Form der Großaufnahme scheint dem großaufnahmengesättigten Kino der Gegenwart langsam aber sicher verloren zu gehen. Sicher nicht zufällig ist Madsen immer wieder in Filmen zu sehen, die einen leicht altmodischen Eindruck machen, die auf einen Modus des kommerziellen Filmschaffens verweisen, der nicht mehr ganz aktuell ist: The Haunting in Connecticut, The Number 23, Firewall.

2 comments:

Denis K. said...

Candyman basiert ja auf einer Kurzgeschichte von Clive Barker, dessen 6 Bücher des Blutes (ja, so heissen die tatsächlich, die Short Story Sammlungen!) schon Vorlagen zu einigen schlechten Horrofilmen abgegeben haben, wie zb "The Midnight Meat Train" (Vinnie Jones als Zug-Slasher), "Rawhead Rex" und ein obskurer Film namens "The Book of Blood". Aber auch "Hellraiser" basiert auf einer dieser Kurzgeschichten und "Candymans Fluch" zählt zu den wenigen Highlights - als Horrorfilm fand ich den damals wie heute außergewöhnlich. Für ein ähnliches Clive Barker Erlebnis empfehle ich dir "Nightbreed" aka "Cabal-Die Brut der Nacht", bei dem Barker selbst Regie geführt hat und in dem David Cronenberg einen Killer spielt. Der zählte in meiner frühen Jugend als Buch wie als Film zu den mir liebsten des Genres. Und die Bücher des Blutes habe ich vor kurzem erst aus einer Kiste mit Jugendsünden gefischt und drin gelesen: sind wirklich überdurchschnittlich gute Geschichten dabei.

Lukas Foerster said...

Danke für die Heinweise!
Aus dem Barker-Universum kenne ich sonst nur Hellraiser 1 und 4. Teil 1 fand ich damals absolut großartig, der vierte ist unterirdisch. Nightbreed werde ich mir bei nächster Gelegenheit ansehen.