Sunday, February 06, 2011

IFF Rotterdam 2011: in passing

Gesher, Vahid Vakilifar, 2010

Toilettenreinigung in Echtzeit, dann ein Bad im Meer. Drei Männer wohnen gemeinsam in einer von vielen engen Röhre, die neben einem gigantischen Industriepark an der Meeresküste augestellt sind. Ein Mann reinigt Toiletten (und sitzt danach auf der Röhre und blickt aufs Meer hinaus, versprachlichen kann er seine Sehnsucht nicht), einer ist Chauffeur (und beginnt vorsichtig eine Mimikry an seinen Boss, wird zum sozialen Chamäleon), der dritte arbeitet in einer anachronistischen Fabrik der Schwerindustrie (und stopft einen Großteil der wenigen Geldscheine, die er verdient, in Stofftiere, die er dann seiner Familie zukommen lässt). Schon die erste Einstellung (gefilmt aus dem Inneren eines Autos, durch die Frontscheibe) vermittelt viel von der Härte proletarischer Existenz im Iran; die Härte wird dann auch im weiteren glaubwürdig ausformuliert, vielleicht am eindrücklichsten in einem Wettrennen, für das die Mitglieder der iranischen chicken coop (Aravind Adiga: The White Tiger) zunächst auf Lastwagen in eine Lehmwüste gekarrt werden, wo sie dann über Hügel und Felsen einen sinnlosen Parcour absolvieren.

Yogera, Yes! That's Us, 2010

Das Filmkollektiv aus Uganda bewegt sich mit großen Schritten in Richtung Festivalkino. War der Erstlingsfilm Divizionz (Forum 2008) noch ganz sui generis in einer technisch kruden, wilden Mischung aus Musikvideo, Gangsterfilm und social commentary und reichlich inkommensurabel mit dem Betrieb, in den er einbrach, geht es jetzt in Richtung Arthaus, sowohl in Sachen Thema (taubstummes Mädchen aus dem Dorf gerät in der Großstadt unter die Räder) als auch in Sachen Form (melancholisches Geklimper auf der Tonspur, wenn das taubstumme Mädchen durch die Straßen stolpert). Noch ist das Ergebnis alles andere als slick, aber man hat eine Ahnung davon, dass das, was auch an Yogera noch interessant ist (zum Beispiel die Gangstergeschichte, die immer wieder in die Haupthandlung hineinragt und dann plötzlich ohne jede Erklärung verschwindet), bei dem nächsten Projekt ebenfalls abgeschliffen sein wird. Das afrikanische Kino hatte es immer schon schwer und bleibt auch im digitalen Zeitalter prekär, wird zerrieben zwischen Nollywood-Massenproduktion und der Unesco-Ästhetik der globalisierten Arthausklischees.

Another Occupation, Ken Jacobs, 2011

Ken Jacobs setzt seine Stroboskop-Serie mit einem weiteren Meisterwerk fort. Ausgangsmaterial ist ein kurzes Segment eines Reisefilms aus der Kolonialzeit (aus Bangkok, glaube ich, der Katalog gibt leider wieder Mal keine auch nur irgendwie hilfreichen Informationen, im Internet habe ich nichts auftreiben können). Strukturiert wird der Film über lineare, gerichtete Bewegungen durch den Raum, erst (glaube ich) ist es die Bewegung eines Schiffes, dann die eines Zugs. Jacobs übersetzt die reale Bewegung in eine Phantombewegung und die sozusagen gesteigert zentralperspektivische Repräsentation von Raum (der maschinelle Komplex Kamera / Eisenbahn korresponidert mit dem kolonialen Militärapparat, die Soldaten stehen für die Kamera Spalier und halten die Unterdrückten außer Reichweite) in einen das repräsentative Prinzip aushöhlenden Phantomraum. Vielleicht ist Another Occupation Jacobs Antwort auf Avatar.

The Last Buffalo Hunt, Lee Anne Schmitt, 2011

Die letzte freilebenden Buffalo-Herden Nordamerikas wurden in Utah angesiedelt, ausgerechnet in einer Gegend, in der die Tiere historisch gar nicht vorkamen. Die Population, deren natürliche Feinde ausgestorben sind beziehungsweise wie sie selbst ausgerottet wurden, wird durch Jagd kontrolliert. Alte Männer (sowie eine ganz besonders schwer erträgliche Frau mittleren Alters, die gerne in Utah oder Afrika seltene Tiere abknallt, aber nicht so gerne zeltet und die sonst auch sehr gerne täglich in die Mall geht) inszenieren sich während dieser Jagd als last true americans alive; freilich sind sie nicht mehr an der Erschließung eines Kontinents beteiligt, sie nehmen lediglich eine Dienstleistung in Anspruch und zahlen dafür. Der Organisator Terry spricht mindestens so viel über den geschäftlichen Aspekt seines Jobs wie über seine Sehnsucht nach Natur und Abenteuer.
Lee Anne Schmitt setzt ihr mit California Company Town begonnenes historiografisches Projekt fort. Wieder geht es um eine Spurensuche in der Einöde, um aus der Zeit gefallene Überreste vergangener Kämpfe. Die letzten Buffalojäger sind die Erben einer Expansionsbewegung, die Tierrassen und Volksstämme vernichtet hat. Diese Erben leben nun in einer Art selbstgewählten Reservat und suchen nach der verlorenen frontier. Frederick Jackson Turner wird zitiert, der Amerikamythos wird am lebenden Objekt seziert und bis in seine kulturindustriellen Verästelungen verfolgt - das letzte Bild stammt aus Las Vegas. Die Bilder der sterbenden Buffalos haben einen Eigenwert, der in dem allen nicht aufgeht und auch nicht aufgehen soll.

Kommander Kulas, Khavn, 2011

Ein Klavier spielt nicht nur, sondern singt auch alte Liebeslieder, fängt außerdem irgendwann an zu brennen. Zwölf Lieder, dazwischen zwölf Passagen eines bunt gekleideten Mannes auf einem Wasserbüffel durch starre Einstellungen und zwölf Monologe von "verlorenen Herzen", die aussehen, als seien sie einer SM-Performance entsprungen; Stimme und Körüer treten auseinander. Khavn sampelt eigenes (Gedichte, Romane, Privatmythologie) und fremdes (alte Schlager, Western- und Horrorfilmmotive) Material, presst es in eine denkbar starre Struktur und nennt das Ergebnis einen Film. Gut dass es ihn gibt, den Khavn.

Nainsukh, Amit Dutta, 2010

Nach dem großartigen The Man's Woman and Other Stories eine mittlere Enttäuschung. Eine Künstlerbiografie in kunstvoll und nie konventionell arragnierten Tableaus, die toll aussieht, aber nie lebendig wird, zumindest nicht für Banausen in Sachen indischer Kunstgeschichte wie mich. Die Geheimnisse, die der Film enthält, sind etwas für Philologen, selbst die Entschlüsselung würde, spürt man, nicht zurück führen zu irgendeiner Gegenwart. Das außergewöhnliche piktoriale Talent ist in jedem Frame erkennbar, aber ich hoffe doch sehr, dass sich dieser indische Paradschanow das nächste Mal wieder weiter in die Welt hinauswagt.

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