Tuesday, December 18, 2012

Eine Serie von Niederlagen

Nachfolgend mein Teil eines kurzen Vortrags über die Ästhetik der Sitcom, den Nikolaus Perneczky und ich gestern in nichtöffentlichem Rahmen gehalten haben.

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Eine der herausragenden Eigenschaften der Sitcom ist ihre scheinbare Gleichförmigkeit, ihr Widerstand gegen Veränderung. Auch das lässt sich an die Produktionswirklichkeit zurückbinden: Sitcoms werden zumeist, aus ökonomischen Gründen, auf einer beschränkten Anzahl an immer wiederkehrdenden sets gedreht, haben ein verhältnismäßig kleines Ensemble, typische Variationsmomente anderer televisueller Formate wie die wöchentlich wechselnden Ermittlungen in Krimiserien fehlen ebenfalls. Der Eindruck der Stasis wird verstärkt durch sprachliche Widerholungsstrukturen (catch phrases) und eine Tendenz zur Passivität vieler Sitcomfiguren, die sich zum Beispiel schon darin äußert, dass sehr viele Sitcomsets von einer Couch dominiert werden.

Die Sitcom ist keine welterschließende, expansive, sondern eine intime, in mancher Hinsicht exklusorische Form, die am Ende jeder Zwanzigminutenfolge die Ausgangssituation wieder herstellen muss. Mehr als die meisten anderen Formen der fiktionalen Fernseherzählung ist sie dabei geprägt von strengen Wiederholungsmustern. Das gilt zunächst für (fast) alle Sitcoms. Bei genauerem Hinsehen kann man jedoch einige Unterscheidungen einführen.


“Die schönste Serie, die es überhaupt gibt, ist die Serie der gelebten Tage”, hat Rainald Goetz vor kurzem in anderem Zusammenhang gesagt. Und so kann man sich zum Beispiel fragen, wie sich in den verschiedenen Sitcoms Wiederholung und Alltag zueinander verhalten. In den klassischen Formen der Sitcom, wie sie sich in den 1950er-Jahren ausgebildet haben, hat die Tendenz zur Wiederholung eine Entsprechung in den Formen der sozialen Beziehungen, von und in denen sie spricht: Vor allem ist dies die hierarchisch-patriarchalisch organisierte Familie, später auch der meist etwas weniger hierarchisch gedachte Arbeitsplatz. Die Wiederholungsmuster sind in diesen Fällen einerseits eingeschrieben in implizite oder explizite, jedenfalls selbsterklärende soziale Verträge: es bedarf keiner weiteren Rechtfertigung, warum Dick van Dyke in der nach ihm benannten Serie Tag für Tag seinen Arbeitsplatz als Autor einer Comedyshow aufsucht und noch weniger, warum er Abend für Abend zu seiner Frau Laura zurückkehrt. Andererseits kann man diese Formen der unproblematischen Wiederholung als ein Bild nehmen für gesamtgesellschaftliche Reproduktionsprozesse im Sinne von Marx / Althusser: Produktionsverhältnisse und Produktivkräfte müssen erneuert werden - und sei es vor dem Fernseher.


Eine derart schematische Darstellung wird auch den frühen Formen der Sitcom nicht in jeder Hinsicht gerecht. Hier soll sie nur auf diese Weise zugespitzt werden, um zu zeigen, dass mit der Wiederholung etwas passiert, sobald die Sitcom sich von hierarchisch organisierten Formen der Vergesellschaftung abwendet. Ab den Achtziger Jahren entstehen eine Reihe von Sitcoms, die informeller organisierte soziale Beziehungen ins Zentrum stellen: In Cheers formiert sich diese neue Form der Gemeinschaft in einer Feierabendkneipe, in Seinfeld, Friends und auch in neueren Serien wie The Big Bang Theory stehen Gruppen von Freunden im Zentrum, lose organisierte Gemeinschaften, die höchstens von informellen Kategorien wie einem gemeinsamen Milieu oder einem geteilten Habitus zusammengehalten werden.


Die Wiederholung erhält in diesen Serien eine andere Bedeutung, verwandelt sich in ein offen regressives, manchmal (Seinfeld) regelrecht asoziales Moment: nicht mehr wird Folge für Folge ein Gesellschaftsvertrag erneuert, eher geht es um eine Verstetigung des Aufschubs der Unterzeichnung. Diese Serien nisten sich ein in einer Art zweiten Adoleszenz, die dem endgültigen Eintritt ins Erwachsenen- und Familienleben vorausgeht, ihn Folge für Folge hinauszögert. Eine erfolgreiche Sozialisation würde gleichzeitig das Ende der Serie bedeuten.


Die vom Format vorgegebene Wiederholung, die in früheren Formen der Sitcom schon im Material angelegt ist, muss jetzt anders gewährleistet werden, wird zum Problem und oft genug selbst zum Thema. Die Serien müssen ihre Fortsetzbarkeit nun auf andere Art und Weise generieren. Man könnte das mit einer Analogie aus der Systemtheorie fassen: Die erfolgreiche Fortsetzung des kommunikativen Akts, der eine Serie ist, wird zunehmend unwahrscheinlicher. Die Serien antworten auf dieses Problem mit einer Komplexitätssteigerung. Genauer gesagt tun sie das, das wäre die These, die genauer zu belegen in dieser kurzen Zeit nicht möglich ist, durch ein Autonomwerden ihrer Kommunikation, durch verschiedene Formen von Ironisierung, Paradoxisierung und Reflexivität.


Um zu zeigen, was damit gemeint sein könnte, sollen hier kurz zwei in dieser Hinsicht besonders interessante Sitcom-Figuren vorgestellt werden. Zunächst ein aktuelles Beispiel: Die derzeit erfolgreichste Sitcom ist The Big Bang Theory, eine Serie über eine Gruppe befreundeter Naturwissenschaftler. Hauptattraktion der Show ist der Physiker Sheldon Cooper, der auf die Herausforderungen einer sozialen Umgebung, der diverse Selbstverständlichkeiten abhanden gekommen sind, reagiert, indem er seine sozialen Beziehungen mithilfe rigider Regelwerke kanalisiert und sein Alltagsleben einem unbedingten Wiederholungszwang unterwirft: “Wednesday is comic book night”. Insofern ist Sheldon so etwas wie der perfekte Sitcomcharakter: Die Aversion gegen Veränderung und Entwicklung, die das Genre als Ganzes ebenso prägt wie (fast) jede einzelne Serie, ist ihm zur zweiten Natur geworden. Und wird gleichzeitig als neurotisch gebranntmarkt. Das setzt sich bis ins gestische Repertoire fort. 






Gleichzeitig kümmert sich Sheldon um die Fortsetzbarkeit der Serie. Im Folgenden kurzen Ausschnitt geht es darum, dass ein Mitglied des Freundeskreises, das momentan verhindert ist, durch ein anderes ersetzt werden soll. Möglichst ohne dass sich auch nur irgendetwas ändert. Sheldon überprüft das recasting (ab 1:52).


Sheldon bemöchtigt sich selbst der Verfügungsmacht über die Wiederholung und deren Voraussetzungen.


Ein komplizierterer Fall ist George Costanza aus Seinfeld. Seinfeld ist im Ganzen eine Serie über das Nichtselbstverständlichwerden des Alltäglichen, über idiosynkratische Regelwerke, die eine gewissermaßen asoziale Wiederholungsstruktur hervorbringen. An George Costanza, der in gewisser Weise radikalsten Figur der Serie, kann man die psychischen Kosten einer derartig reflexiv gewordenen Wiederholungsstruktur ablesen.



In der Episode "The Comeback" verfängt sich George in einem Netz aus korrumpierten Wiederholungen: Bei einer Arbeitsbesprechung wird ein Witz auf seine Kosten gemacht, auf den er zunächst keine Antwort, kein “comeback” parat hat. Als ihm wenig später ein solches “comeback” einfällt, versucht er verzweifelt, eine Situation herbeizuführen, die eine Fortsetzbarkeit in seinem Sinne herstellen würde. Er fliegt seinem Gesprächspartner bis nach Ohio hinterher, aber es hilft alles nichts. George gelingt es nicht, die Kontrolle über die Bedingungen der Wiederholungsschleifen zu gewinnen, in die er eingespannt ist. Die ewige Wiederkehr des unselbstverständlich gewordenen Alltags erlebt er als eine Serie von Niederlagen. (Hier die gesamte, nicht einbettbare Szenenfolge)

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