Friday, August 30, 2013

Zweimal Suzuki

Carmen from Kawachi, Seijun Suzuki, 1966
Tattooed Life, Seijun Suzuki, 1965

Zwei Filme, die Seijun Suzuki unmittelbar vor Tokyo Drifter gedreht hat, offensichtlich auf der Höhe seiner Kunst. Es beginnt jeweils auf einer dieser langgezogenen Deichaufschüttungen, die im japanischen Kino allgegenwärtig sind und die in den beiden Suzuki-Filmen jeweils als harte, unbarmherzige Trennlinien auftauchen, die Erde von Himmel scheiden. In Carmen from Kawachi radelt Tsuyuko den Deich entlang; bald tauchen die ersten Männer auf (von vielen, im Film); es beginnt von ihrer Seite spielerisch, die Männer antworten schnell mit Gewalt, zerren sie vom Fahrrad, tragen sie davon, den Deich und die cinemascopebreite Leinwand entlang. Die Vergewaltigung bleibt offscreen. Tsuyuko / Carmen muss raus aus der Provinz, aus dem Bergdorf (lese ich irgendwo, das passt natürlich nicht zu dem Deich, hm...), in die Stadt, die auch ihre Härten hat, aber in der sich das nicht verfestigt in dauerhafte, stumpfe sexuelle Machtverhältnisse, die sogar über Generationen hinweg bestehen bleiben - der Mönch, der erst die Mutter, dann die Tochter als erpresste Geliebte sich hält.

In der Stadt gibt es vor allem: Option. Und die breitet der Film aus, nicht als einen dramaturgischen Bogen, der Tsuyuko zum Beispiel immer tiefer fallen lassen, oder ihr eine langsame Emanzipationerlauben würde, sondern als ein bloßes Nebeneinander: in diesem Raum mit diesem Mann; dann, wenn das nicht funktioniert, in jenem mit jenem. Genauso undramaturgisch schlüpft sie in Gefühle, genauer gesagt, lernt (ohne wirklichen Lernprozess), über ihre Gefühle zu verfügen, pragmatischer von romantischer Liebe zu unterscheiden, hat dann auch bald heraus, dass sie sich in den vierten, fünften Mann vielleicht gar nicht mehr so unbedingt verlieben muss.

Daneben ist die Großstadt natürlich auch ein Moloch. Jeder einzelne Raum, in den Tsuyuko gerät, ist ein barock ausgestalteter Abenteuerspielplatz, in der ihr zum Beispiel ein lesbischer Horrorfilm zustoßen kann, oder in der sie, ohne dass man so recht nachvollziehen kann, wie genau, in einen bizarren Pornodreh gerät - die Scopebreite zeigt nicht mehr eine allzu weit vor einem sich ausdehnende Gleichförmigkeit an, sondern sie sorgt dafür, dass man nicht einmal mehr in einem einzigen Bild ganz bei sich selbst ist. 

Was man von der Stadt aus erst sieht, ist, dass auch die Provinz ein bizarres Moloch ist, dass da unter der in Tradition versiegelten Oberfläche "heiße Quellen" lauern, mit denen man zwar eher kein Geld verdienen, die man aber sehr wohl freisetzen kann, mit denen man all die triste Beengung hinwegfegen kann, wenn man nur will. Tsuyuko merkt bald, dass sie genau das will.

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Anders die Bewegung in Tattooed Life. Ein sehr männlicher Film, in dem die Frauen sich von Anfang an nur anschauen, nicht anfassen lassen und in dem sie dann immer weiter sich entfernen, bis die Blicke irgendwann nicht mehr von Gegenblicken beantwortet werden.

Von Anfang an auch ein sehr brüderlicher Film, wie da, auf dem Deich, der jüngere erst für den älteren sich einsetzt (und dabei über das Ziel hinausschießt) und wie dann der ältere für den jüngeren den restlichen Film über einzustehen versucht. Bevor der Film für sein atemberaubendes Finale in ein primärfarbenes Knallbonbon sich verwandelt (das vorher schon sich ankündigt durch die roten Schuhe, die in Großaufnahme immer wieder durchs Bild huschen, und die, merkt man irgendwann, nicht einer einzelnen Figur zuzuordnen sind, die einfach nur eine Unruhe ins Bild eintragen wollen), bleibt er sehr konzentriert mit den beiden Brüdern in einem Nest in der Provinz. Und interessiert sich für ein Wasserrad, das dem Nest Energie, für eine Mine, die dem Nest ein Auskommen (aber auch einen Ausbeuter) beschert, mehr, als ich das von einem Suzuki-Film erwartet hätte. Wenige Filme habe ich bisher gesehen, die über ihr Material derart souverän verfügen und die gleichzeitig so wenig der Versuchung erlegen, ihre Verfügungsgewalt als Attraktion auszustellen.

Der jüngere Bruder ist Künstler - und ein Künstler ist bei Suzuki offensichtlich vor allem einer (das passt auch zum action-painter in Carmen from Kawachi), der Frauen eher anschauen als anfassen will. Toll ist die Szene, in der die Blickobjektsfrau dem Künstlermann sagt, dass sie sich nur zum Baden auszieht und wie der Film dann gleich in der nächsten Einstellung in ihren Baderaum wechselt, wo sie das Fenster einen Spalt breit öffnet und damit den Künstlerblick zulässt. Und wie der Film dann mit dem Künstlerblick eins wird. (Der ältere Bruder ist kein Künstler, aber ein Melancholiker; er blickt nicht auf die Frau, sondern gemeinsam mit ihr in die Ferne).

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