Friday, November 07, 2014

Taking a Chance on Karlson (1)

Black Gold, 1947
99 River Street, 1953
The Young Doctors, 1961

Taking a chance on Karlson: Den Anlass gibt eine Retrospektive (wohl sogar: die erste halbwegs vollständige weltweit) in der Cinematheque Francaise. Gleich der Zustand der ersten Kopie gibt dem Unterfangen Recht: Wenn es den ursprünglich im eher obskuren Farbverfahren Cinecolor (das angeblich schlecht geeignet ist für Grüntöne und deshalb oft für Western zum Einsatz kam; in diesem Fall für einen gelegentlich ölverschmierten Western) gedrehten Black Gold wirklich nur noch in dieser schrundigen 16mm-schwarz-weiß-Reduktionskopie gibt, wird es höchste Zeit, Karlson wenigstens noch einmal eine Chance zu geben, solange das noch unter halbwegs adäquaten Bedingungen möglich ist. Dass der Zustand der Kopie mich nur in den ersten paar Minuten gestört hat, ist gleich noch eine Bestätigung: Karlson hat die Chance, die ihm die Cinematheque Francais gibt, nicht nur verdient; er nimmt sie sich regelrecht.

Der Film beginnt in einem staubigen Nirgendwo, das doch immerhin schon Amerika ist und deshalb gestaltet werden kann. Davey, ein chinesischstämmiger, aber in Amerika aufgewachsener Junge hat seinen noch ausschließlich chinesisch sprechenden Vater aus Mexiko (?) nachgeholt und freut sich jetzt selbst über dessen Schimpftiraden, weil er vorher gar keinen Vater gehabt hatte. Ohne viel Aufhebens wird der Vater dann allerdings von Banditen abgeknallt, der Sohn entkommt zufällig. Die Rachegeschichte, die vorgezeichnet scheint, materialisiert sich nie (oder genauer: erledigt sich ohne Zutun der Hauptfiguren offscreen), stattdessen wird der Junge von einem Indianer aufgegabelt. Der wird von Anthony Quinn gespielt, was man von heute aus kurz obszön finden kann; Quinns Spiel ist dann aber in höchstem Grad rührend.

Quinn radebrecht und stolpert sich durch den Film, vor allem Letzteres, seine erratische Art der Fortbewegung, der jeder Schritt ein neues Abenteuer ist, nimmt der Film als eigene Attraktion (und er verleiht ihr tatsächlich eine gewisse rauhbeinige Loser-Eleganz; was eh die einzige Art von Eleganz ist, mit der sich Karlson wohlzufühlen scheint: auf die Fresse bekommen und die Schläge nicht blasiert, aber mit Haltung wegstecken). Das schönste Laufbild bereitet das Wiedersehen mit seiner Frau vor: Während sie sich im Vorgarten des gemeinsamen Hauses (einer Hütte, aus purer Willenskraft in die auf diese kommende Familiengesellschaft nicht vorbereitete Welt gestellt) an irgendwas zu schaffen macht, läuft er irgendwie diagonal (man müsste die Einstellung kartografieren) auf die Tür zu; nicht wirklich hinter ihrem Rücken und es bleibt sowohl unklar, ob er sie überraschen will, als auch, ob sie faktisch überrascht ist, außerdem auch ob einer von beiden oder gleich beide ein einstudiertes, vielleicht für den Neuankömmling aufgeführtes Spiel spielen.

Die Frau, ebenfalls eine unindianisch, aber rührend verkörperte Indianerin (Katherine DeMille) ist eine mindestens so große Attraktion, wobei sich bei ihr alles (was ist das „alles“? Vielleicht: das Amerika-Werden) im Gesicht abspielt. Gleich mehrere Szenen enden mit Großaufnahmen ihres Gesichts, das umso weniger lesbar wird, je mehr in es mimisch eingetragen wird. (Mimik als Spezialeffekt: Das wäre ein erster auteuristischer Topos bei Karlson). Als ihr Mann schließlich stirbt, meint sie, jetzt wünsche sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben, eine weiße Frau zu sein, weil sie dann weinen könnte. Aber hätte sie dann noch eine ähnliche Bandbreite des Ausdrucks zur Verfügung? Vielleicht sind ihre mimischen Extravaganzen genau etwas, was sie tut, anstatt zu weinen.

Ebenfalls unbestimmbar bleiben die Regeln der Ehe; offensichtlich kopieren die beiden das Äußere der „weißen“ Kleinfamilie, bis hin zu lustig naivem Wandschmuck, aber die Differenz bleibt; und es ist doch gleichzeitig nicht einfach so, dass beide unter dieser Differenz leiden, bzw dass sie als die Häußliche, Assimiliertere drängen und er als der noch nicht ganz Seßhafte nachgeben würde. Man muss leider sagen, dass der chinesische Neuankömmling neben diesem Paar ein wenig blass bleibt; bzw: seine schönsten Szenen hat er außerhalb der Familie alleine, oder alleine mit seinem Pferd, auf das sich die Aufmerksamkeit des Films immer stärker ablenkt.

Denn während die Indianer-und-Chinesenfamilie durch einen Ölfund, der sich seinerseits auf eher nonchalante Art in den Film, schließlich als Bohrturm in die Mise-en-scene schleicht, reich wird, übernimmt heimlich ein zweiter Film, der von Tieren handelt (ein unter B-Movie-Bedingungen erzählter, deshalb andauernd narrativ eskalierender Film; es ist nicht so, dass sich die Ereignisse ausgestellt "überschlagen", es passiert einfach an allen Ecken und Enden etwas, als sei das ganz normal so): Ein schwarzes Pferd, das vom jungen Chinesen äußerst vorsichtig gebürstet wird und früh im Film ein Rennen gewinnt, gebirt später (in einer tollen Szene) ein zweites schwarzes Pferd, das ebenfalls zum Rennpferd ausgebildet wird, wobei ihm immer wieder ein weißer Ziegenbock in die Quere kommt.


99 River Street, der zweite Film. Einer der härtesten noirs, die ich kenne, und auch, das stellt sich schnell heraus: ein Meisterwerk (und diesmal: was für eine wunderbare Kopie!). Gleich am Anfang ein Boxkampf, nicht wirklich eine Bewegungsstudie, eher eine Serie von Volltreffern (Faust auf Gesicht, und zwar so perfekt geframet, als hätte das Gesicht jedesmal einen Platz für die Faust freigehalten). Danach schaut sich einer der Boxer, derjenige, der den Kampf wegen einer Verletzung aufgeben musste, seine Niederlage in Zeitlupe im Fernsehen an. Was das mit ihm macht, ist wieder gar nicht so einfach zu sagen (überhaupt: verdammt komplizierte geradlinige B-Filme sind das...). Am ehesten könnte man vielleicht sagen: Er dichtet seine tumb-brutale Dummheit gegen alle Außeneinflüsse ab, ab sofort (also: von Anfang ein) ist er die fleischgewordene, mit sich selbst kurzgeschlossene, reiner, stupide Aggression.

Wieder wird eine falsche Fährte gelegt: Noch ein weiteres Mal möchte er, trotz seiner Verletzung und gegen den ärztlichen Ratschlag, im Ring antreten. Das wird nie passieren, nicht einmal erste Schritte unternimmt er in diese Richtung. Statt dessen findet er heraus, dass seine Frau ihn betrügt, gerät anschließend, weil der Nebenbuhler ein (ihm selbst außerordentlich ähnlich sehender) Krimineller ist, in eine Gangstergeschichte, außerdem wird ihm die Aufmerksamkeit einer weiteren Frau förmlich aufgedrängt (von ihr selbst wie vom Film, von der Kamera, die ihr Gesicht in einer obszön-abstrusen Großaufnahme abtastet; jedenfalls entsteht diese neue Beziehung aus nichts als Lüge und Gewalt, beziehungsweise eben auch noch: erlogener Gewalt).

Der Film schlägt einen Haken nach dem anderen, und bremst sich, trotz einer ansonsten atemberaubenden Geschwindigkeit (die es ihm zum Beispiel ermöglicht, die eigentlich schon nach einigen aufreizenden, wie aus dem Modemagazin ausgesucht wirkenden Posen schon nicht mehr benötigte Ehefrau rabiat und ohne allzu zwingende narrative Motivation aus dem Film zu entfernen), auch wieder komplett herunter, zum Beispiel, wenn die neue Frau in einer Bar eine unfassbare betrunkene-Verführerin-Nummer hinlegt, die zwar auch komplett erlogen ist, aber doch einiges zu fassen bekommt an der auf vitale Art kaputten Welt des Films. (Ein weiteres, filmisches Detail: Die wiederholten Faustschläge aus dem Off, die vor allem die Hauptfigur treffen, fast scheint es da stets so, als schlage die Kamera selbst zu).

Ganz am Ende, inmitten eines wieder im besten Sinne chaotischen Showdowns, wird doch noch einmal die Sache mit dem versprochenen zweiten Boxkampf aufgegriffen. Wenn allerdings die letzten Faustschläge des Helden umgedeutet werden zum sportlichen Comeback, dann rundet sich nichts ab; ganz im Gegenteil wird erst recht deutlich, dass gar nichts rund ist an dem Film, dass er sich ganz im Gegenteil mit Haut und Haaren dem Chaos verschrieben hat.

Ein Gedanke, noch keinerlei filmhistorischen (oder sonstigen) Belastungstests unterworfen: Das Kino hat nach dem zweiten Weltkrieg zwei Formen entwickelt, mit dem Verbrechen umzugehen, es aus der Gesellschaft heraus zu halten. Eine Form nimmt es als durchaus euphorisches Bild für das absolute Chaos (Karlson, Ferrara, Miike), die andere ganz im Gegenteil als Bild für eine besonders rigide, dystopische Ordnung (Melville, Coppola, To). Leider tendiert das Kino, Miike und Ferrara zum Trotz, im Ganzen zur zweiten Variante.


Wieder ein kompletter change of pace. The Young Doctors ist ein unaufgeregt inszenierter, von ganz viel B-Movie-Routine bevölkerter Krankenhausfilm, der zunächst Schlimmes verspricht. Die fast schon spektakulär unsympathische Hauptfigur ist ein junger Arzt, der „frischen Wind“ in die Pathologiestation eines Krankenhauses bringen will, die bisher von einem einst knorrigen, jetzt eher porösen Oldschoolarzt (heißt natürlich auch: Oldschoolsexist) geleitet wurde. Den „frischen Wind“ könnte man allerdings auch „kalter Hauch des Verzichts“ nennen – nicht einmal mehr beim Obduzieren darf geraucht werden!


Der satirisch gemeinte Generationenkonflikt ist offensichtlich Karlsons Sache nicht. Die schnell anlaufenden Liebesgeschichten schon eher – zumindest eine Schlittschuhlaufszene ist sehr schön, beim auf-die-Fresse-Fallen-und-dann-dumm-Grinsen findet auch der junge Streber zu sich selbst. Richtig in Fahrt kommt der Film aber erst, wenn, etwas später, die Melodramen überhand nehmen dürfen (ganz materialistisch geht es da um amputierte Körperteile, Bluttransfusionen, Organisches). Rohe, auch in ihren humanistischen Varianten zum Asozialen tendierende Emotionen: Das ist offensichtlich Karlsons Sache.

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