Saturday, May 09, 2015

Lenz, George Moorse, 1971

Ein Film über ein Gesicht, das Berge zum Erbeben bringt. Und über einen Körper, der von innen leuchtet (fantastisch immer wieder: der Wechsel von außen nach innen, von den archaischen Schneepanoramen in eine stummfilmartige Ästhetik, in denen Menschen zu trüb schimmernden Lichtquellen werden). Gesicht und Körper gehören Michael König, der diesen monomanischen Film von Anfang bis Ende dominiert. König ist in "Lenz" überlebensgroß, das eine, überindividuelle, erotische Zentrum der Welt, neben dem alle anderen Menschen zu Stichwortgebern, alle anderen Gesichtern zu Masken verkümmern; und doch ist König nur ein dummer, trotziger Junge - wenn er seine Umgebung kleinkinderartig negativistisch anblafft, fällt die ganze teils ins Mystizistische oder wenigstens Christologische spielende Schwere in sich zusammen. Und dann merkt man, dass sie von Anfang an brüchig war, dass es von Anfang an nicht um Metaphysik geht, sondern lediglich darum, eine Handvoll grundsätzlich ziemlich gut nachvollziehbarer selbstzerstörerischer Affekte zu bündeln und zu isolieren. Bis irgendwann nichts mehr anderes außer ihnen existiert, vor allem kein Ventil, keine Kommunikation. Anders ausgedrückt: Der Film lässt nachfühlen, wie bloße Bockigkeit ohne allzu viel Drama (ein paar "Frauenzimmer" reichen; ob die lebendig oder tot, real oder eingebildet sind, ist zweitrangig) in eine ausgewachsene schizophrene Psychose umkippen kann.

Moorse macht das nachfühlbar, indem er sich nicht mit dem Kranken selbst, aber mit Aspekten seiner Wahrnehmung gleichmacht. Immer wieder gibt es in diesem zwar exzentrischen, aber kaum manierierten Film lange Schwenks, die die Welt abtasten, aber sich nicht so recht auf einzelne Objekte festlegen wollen, die einzelne Menschen, Gegenstände, Attraktionen streifen, links liegen lassen, weiter streben, nirgendwo ankommen. Einmal zeigt eine Totale die Treppe vor einem Bauernhof, auf der sich einige Frauen zu schaffen machen, dazu hört man, mehrere Strophen lang, ein obszönes Spottlied. Kamerablick wie Lied objektifizieren Frauen - aber auf jeweils unterschiedliche, miteinander inkompatible Weise. Angetrieben wird der Film, schien mir in solchen Szenen, von Lenz' Suche nach irgendjemand oder irgendetwas, den oder das er nicht als Objekt, sondern als ein anderes Subjekt, als mit sich gleichwertig ernst nehmen kann - zweitrangig erst einmal, ob das nun ein weibliches Subjekt ist, ein männliches, oder zur Not auch ein religiöses. Toll an dem Film ist, dass er diese Suche weder soziologisch, noch therapeutisch rahmt; weder also steht Lenz ein für irgendeinen Aspekt der gegenwärtigen conditio humana, noch muss er verstanden und geheilt werden. Er darf sich winden, heulen, beben und dabei gut aussehen. Das reicht.

Lenz wurde seinerzeit mit hymnischen Kritiken, Filmpreisen und -prädikaten überhäuft. Die literarische Vorlage vor allem scheint ihn für eine kurze Zeit zum Lieblingsfilm des Bildungsbürgertums erhoben zu haben - warum allerdings hat er dann nicht den Weg in den Kanon und (dafür scheint er geradezu prädestiniert) den Deutschunterricht gefunden? Gut möglich, dass Rechteprobleme oder Ähnliches einen Anteil daran haben. Aber es dürft auch am Film selbst liegen; an seiner mit etwas Abstand kaum verkennbaren Nähe zum Drogenkino der 1970er vielleicht (man kann sich ohne Probleme einen "impressionistischen" Film über Heroinentzug vorstellen, der zu zwei Dritten aus demselben Bild- und Tonmaterial besteht); an seinem etwas zu nachdrücklichen Drall ins offen Selbstzerstörerische, Selbstmörderische vor allem.

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