Saturday, March 04, 2017

Dunkle Fee

Barbara kann man nur übers Meer erreichen; und auch dann muss man noch einmal einen mehrtägigen Fußmarsch quer über eine Insel auf sich nehmen, bis in den hintersten Winkel der Färöer. Da, am Ende der Welt, lebt sie, die von den anderen Insulanern begehrt, verflucht und verteufelt wird, eigentlich ein kleinbürgerliches Leben in einem adretten Landarzthaus, kann sich nicht einmal gegen die Kontrollblicke des Gärtners wehren.

Das Freie, Ekstatische, wild-Romantische und das Beengte, Kleine, Angepasste stehen oft eng beieinander in Barbara. Frank Wisbars Barbara - Wild wie das Meer mag an der Oberfläche ein wenig unterkühlt anmuten, im Kern aber ist das ein hemmungsloses Melodram, ein einziger Gefühlsexzess, der fast unbehauen hineingestellt wird ins noch etwas steife deutsche Nachkriegskino und auch in die noch etwas steife deutsche Sprache der frühen 1960er.

Außerdem ist Barbara ein Heimatfilm. Aber ein Heimatfilm, der die Heimat weit weg von der Heimat verlegt, an den äußersten Rand Europas. Und der der Heimat alles Heimelige entzieht. Aus Wisbars Barbara spricht ein tiefes Unbehagen an der Heimat. Thomas Groh schreibt dazu in der taz: “Der Ideologie von Scholle und Provinz begegnet Wisbar mit äußerster Skepsis.” Wisbars Heimat ist eine Heimat, die vom Mangel und Einengung bestimmt ist - die aber auch jede Chance zum Ausbruch nutzt. Wenn einmal ein spanisches Schiff eine Nacht lang im Hafen ankert, werden neun Monate später gleich vier spanische (in der Sprache des Films) Bastarde geboren.

Barbara ist eine UFA-Produktion, gedreht wurde im Jahr 1961 auf den Färöer-Inseln und in einem dänischen Studio. Die Kritiken waren vernichtend bis indifferent, beim Publikum kam er höchstens mäßig an, danach versank er jahrzehntelang in der Versenkung.

Wiederentdeckt wurde Barbara erst in den letzten Jahren von einer neuen Generation der deutschen Kult-Cinephilie. Sigi-Götz-Entertainment nimmt ihn 2007 in den Kanon des Deutschen Films auf, 2013 läuft er auf dem Hofbauerkongress in Fürth.

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Barbara ist 1961 Frank Wisbars drittletzter Kinofilm. Barbara ist in seinem Spätwerk eine Ausnahme. Wisbar versuchte, noch einmal an seine Vorkriegsfilme wie Fährmann Maria anzuschließen mit einem Film, der ein Frauenschicksal und auch Fragen des Begehrens ins Zentrum rückt. In der letzten Viertelstunde tauchen sogar ein paar Bilder auf, die wieder an den Horrorfilm denken lassen.

Barbara beruht auf einem Roman von Jørgen-Frantz Jacobsen, dem bekanntesten Schriftsteller der Färöer. Der Roman wiederum beruht auf Sagen, die um eine historisch verbürgte Person kreisen: um Benta Broberg, eine Pastorenfrau, die im 17. Jahrhundert mehrere Männer ins Grab gebracht / ins Unglück gestürzt haben soll.

Die Grundzüge der Handlung entstammen dem Roman: Es gibt eine Inselgemeinschaft, in die ein Neuankömmling eintritt, der sich in genau die Frau verliebt, vor der ihn alle warnen. Und dann nimmt das Unheil seinen Lauf.

Aber Wisbars Film verlegt die Handlung aus dem 17. Jahrhundert in die 1950er, zudem ist Barbara keine Pastoren-, sondern eine Arztfrau. Außerdem verschiebt sich, wie Fabian Schmidt anlässlich einer anderen Aufführung des Films in Frankfurt dargelegt hat, der Fokus der Erzählung: Es geht weniger um das, was Barbara tut, als um das, was die Nachbarn denken, dass sie tut. Es geht nicht um eine Sünderin, sondern um die Konstruktion einer Sünderin. Aber gleichzeitig gibt es eben auch eine Barbara jenseits der Konstruktion.

Die Hauptrolle übernimmt Harriet Anderson, bekannt aus Bergman-Filmen, Barbara war ihre erste Rolle in einer nicht-schwedischen Produktion. Im selben Jahr wie Barbara kommt einer ihrer bekanntesten Filme in die Kinos, ebenfalls eine Bergman-Regiearbeit: Wie in einem Spiegel. Interessanterweise gibt es da inhaltliche Parallelen zu Barbara: Auch in Bergmans Film spielt Harriet Andersson eine Frau auf einer Insel, die die Männer an sich verzweifeln lässt und ihrerseits an ihnen verzweifelt.

Stilistisch scheinen die Filme freilich Welten, oder besser Dekaden auseinander zu liegen. Bergman inszeniert seinen Film als ein reduziertes, fast abstraktes Kammerspiel (selbst in den Außenszenen), heute gilt er als eines der Schlüsselwerke des modernistischen europäischen Autorenfilms. Wisbars Film wirkt dagegen erst einmal wie klassisches, fast etwas konservatives Erzählkino. Aber ich glaube, dass auch Barbara eine eigene Form von Modernität hat. Und das liegt nicht zuletzt an Anderssons Figur.

Dabei wurde gerade Anderssons Spiel von der Kritik wenig freundlich aufgenommen; das ist nur in einer Hinsicht nachvollziehbar: Die UFA hat ihr eine leider recht leblose Synchrostimme verpasst, was umso ärgerlicher ist, als die Schauspielerin wohl extra für Barbara deutsch gelernt hat.

Das Besondere an der Figur und auch an Anderssons Schauspiel wird sichtbar, wenn man Wisbars Film mit der zweiten Verfilmung des Stoffes vergleicht. 1997 hat der dänische Regisseur Nils Malmros seine Version von Barbara gedreht. Die bleibt näher beim Roman, macht aus Barbara wieder eine Pfarrersfrau und verlegt die Handlung ins 17. Jahrhundert. Malmos’ Film ist ebenfalls sehenswert, aber bei ihm ist die Hauptfigur, da gespielt von Anneke von der Lippe, deutlich weniger interessant.

Bei Malmros ist Barbara ein Gefühlsmensch, sie folgt ihrem Herzen, ihre Authentizität zerbricht am Zynismus der Welt um sie herum. Wisbars Barbara dagegen ist, zumindest zu Filmbeginn, selbst eine Zynikerin, oder wenigstens eine Spielerin. Sie macht sich über die Männer lustig, die um sie herumschwirren. Auch später bestimmt sie die Regeln der Liebe, soweit ihr das in einer patriarchal organisierten Gesellschaft möglich ist. Bezeichnend ist die Verführungsszene, in der sie sehr genau kontrolliert, was und wieviel von ihr der Arzt zu sehen bekommt und berühren darf.

Die Kritiker hatten vermutlich erwartet, dass sich die auf dem Filmplakat monströs anmutende Barbara entweder als ein heißblütiges Teufelsweib oder als ein sanftes Opferlamm erweist. Anderssons Barbara aber lässt sich mit solchen Klischees nicht begreifen. Gerade, dass man die Haupfigur nie ganz zu fassen bekommt, dass sie nie zu einer psychologisch und auch handlungslogisch runden Figur wird, macht sie so fasznierend.

Barbara stellt nicht nur die Filmkritik, sondern auch die Figuren im Film vor ein Rätsel. Schön zu sehen ist das in einer Dialogpassage, ind er sich zwei Männer über Barbara unterhalten. “Sie sehen die Dinge zu juristisch,” meint der eine. “Sie sehen die Dinge zu mathematisch,” antwortet der andere. Juristisch und mathematisch kommt man Barbara schon einmal nicht bei. Man könnte ergänzen: moralisch, medizinisch und religiös klappt es auch nicht.

Um Barbara herum gruppiert sich ein recht großes Ensemble. Erwähnenswert sind vor allem zwei Männerfiguren, die interessanterweise beide eine selbstzerstörerische Ader haben.

Bei dem blonden Arzt Paul, der zu Filmbeginn auf der Insel eintrifft und dann Barbara kennenlernt, offenbart sich die nur langsam. Sein Darsteller Helmuth Grien ist eine Entdeckung von Wisbar, er hatte seinen ersten Auftritt im Vorgängerfilm Fabrik der Offiziere. In Barbara ist er erst einer der kalten, harten Männer, die von Frauen ganz selbstverständlich Unterordnung verlangen, noch ganz ein Geschöpf der 1950er. In der letzten Viertelstunde bricht dann etwas ganz anderes aus ihm hervor. Das Abgründige in seinem Spiel nimmt Griens bekannteste Rolle vorweg, den Aschenbach in Viscontis Die Verdammten.

Das Gerücht über Barbara, der Dorfklatsch, nimmt in einer anderen Rolle Gestalt an: Der Stoffhändler Gabriel wird von ihr wieder und wieder zurückgewiesen und zieht deshalb in einem Fort über sie her. Gespielt wird er von Herbert Fleischmann in seiner ersten Kinorolle. Der legt ihn als einen sadistischen Kleinbürger an, der ganz offensichtlich seinen Selbsthass auf andere projiziert. Eigentlich steckt schon das halbe Fassbinder-Kino in dieser Figur.

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Ein Reiz des Films dürfte darin bestehen, dass es in ihm eine nicht auflösbare Spannung gibt zwischen auf der einen Seite dem sehr gegenwärtigen und desillusionierten Gesellschaftsbild und auf der anderen Seite einer erzählerischen und auch affektiven Grundstruktur, die einer anderen Zeit entstammt, eben dem 17. Jahrhundert.

Dieser zweite Aspekt manifestiert sich zum Beispiel in der Rahmung der Erzählung, die eine zirkuläre, vormoderne Zeitlichkeit einführt und aus Barbara doch wieder eine Art Märchenfigur macht. Eine Art dunkle Fee, die einen Fluch in sich trägt, den sie in der letzten Einstellung des Films an das Kinopublikum, an uns, weitergibt.

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