Sunday, March 05, 2017

Es kommt ein Tag, Rudolf Jugert, 1950 (Filme gegen Deutschland 5)

Der Film beginnt in einem Lazarett, die maladen Soldaten binden sich nachts mit einem Gurt auf den Pritschen fest, auf denen sie liegen. Damit sie nicht hinweggeweht werden von den Erinnerungen. Die Kamera ist freilich von Anfang an agil, unruhig kriecht sie über die Betten hinweg. Als einer ansetzt, eine dieser Kriegsgeschichten zu erzählen, möchten ihn die anderen erst stoppen, aber die Vergangenheit drängt herauf, der Film springt ein paar Jahre zurück, in den Deutsch-Französischen Krieg.

Ein deutscher Soldat Mombour (Dieter Borsche) tötet einen französischen. Er kriecht dann nah an ihn heran, sodass sein Kopf neben dem des Toten zu liegen kommt. Bereits in diesem Bild wird Es kommt ein Tag zum Geisterfilm. Mombour hat sich selbst getötet, die Identität wie auch das Schicksal seines Feindes sind auf ihn übergesprungen, er weiß es nur noch nicht. Vor allem wird er es deutlich später wissen als wir. Der Film ist der melodramatisch zerdehnte Prozess seiner Erkenntnis und unseres tränenseligen Nachfühlens: Mombour muss nicht nur erkennen, was er getan hat, sondern auch, was aus seiner Tat für ihn folgt. Genauer gesagt geht es um einen komplexen Mechanismus der Erkenntnis, der Musik, Liebe und Tod hoffnungslos ineinander verschränkt. (Keineswegs sollte man diese Erkenntnis mit Aufklärung verwechseln; Es kommt ein Tag ist ein regressiver Film - aber ein großartig monströs regressiver!)

Es kommt ein Tag ist im Kern ganz flackerndes Licht und verwehte Melodie. Borsches weiches Gesicht hat weder der todbringenden Melodie, die ihn immer wieder, in verschiedenen Inkarnationen, meist nur als Ahnung, heimsucht, noch den halluzinativen Lichtornamenten, die sich wie ein Schleier über die Welt und eben insbesondere über sein Antlitz legen, viel entgegen zu setzen. Seine Liebesgeschichte mit der Maria-Schell-Figur ist ein bloßer Reflex, eine Mechanik der träumerischen Blicke und der Treppenerotik, dass aus ihr je eine lebbare Beziehung folgen könnte glaubt man in keinem Moment, schon das ausführlich angeteaserte Eifersuchtsgeplänkel mit einem französischen Maler kommt nicht recht in Gang.

Es gibt dann freilich noch Gustav Knuth als Soldat Paul, ein rundlicher Schnurrbartträger, ein liebenswürdig polternder Genussmensch, der den Mägden hinterhersteigt und mit den Franzosen ausführlich Brüderschaft trinkt. Der für alles, was er tut, mehr Zeit und Raum in Anspurch nimmt, als solcher Tätigkeit eigentlich zustehen würde. Ein massiver Klotz, der im Film rumsteht, oder eher rumfläzt, nicht zu übersehen, nur äußerst mühsam aktivierbar, aber im gemächlichen Normalmodus durchaus unterhaltsam. Komplett ungeisterhaft und diesseitig eigentlich... aber auch er stimmt immer wieder auf der Mundharmonika die unglückselige Melodie an. Letzten Endes ist auch er nur ein weiterer Träger des Virus, der am Ende unweigerlich die Welt in Brand setzen wird. Der das liebevoll evozierte französische Dorfleben mit den Waschfrauen am Brunnen, den neugierigen Blicken auf die uniformierten Männer, den spielenden Kindern in eine paranoide Seelenlandschaft verwandelt.

Dass die deutsche Filmgeschichtsschreibung das Kino der 1950er von sich weg halten will (oder zumindest wollte, es gibt glücklicherweise viel Gegenbewegung, momentan), hängt vielleicht weniger mit dem vorgerlichen Eskapismus dieser Filme zusammen; sondern ganz im Gegenteil damit, dass sie mehr von Deutschland offenbaren, als man eigentlich wissen will. Es kommt ein Tag ist ein Meisterwerk - als Ausdruck einer Gesellschaft, die mit sich selbst kein bisschen im Reinen ist.

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